Die Habenichtse von Katharina Hacker



Der Roman „Die Habenichtse“ von Katharina Hacker wurde 2006 vom Suhrkamp Verlag veröffentlicht und erhielt im selben Jahr den Deutschen Buchpreis. Mein Exemplar ist die Auflage vom Fischer Verlag 2011 (Foto folgt).

Inhalt: Jakob ist ein junger Jurist, angestellt in einer Kanzlei, die international arbeitet. Isabelle eine Grafikdesignerin, die mit zwei ihrer Freunde eine Firma aufgebaut hat. Beide kennen sich von früher und treffen sich am 11. September nach 10 Jahren Funkstille auf einer Party in Berlin wieder und verlieben sich ineinander. Die zwei heiraten schnell und Jakob wird gebeten für seine Arbeit nach London zu gehen, da sein Kollege (der wahrscheinlich den Job bekommen hätte) bei dem Anschlag auf das World Trade Center in New York ums Leben gekommen ist. Isabelle geht mit ihm, arbeitet von England aus weiter bei ihrer Firma.
Und obwohl die beiden alles zu haben scheinen, stehen sie doch mit leeren Händen da …


Die größte Aufmerksamkeit in der Geschichte nahm zuerst einmal gar nicht die Handlung selbst ein, sondern der Schreibstil, in dem Hacker sie dem Leser mitteilt. Wörtliche Reden werden nicht in Anführungszeichen eingebettet, stattdessen benutzt sie (meist) Gedankenstriche, um den Anfang einer Aussage, zu markieren und das Ende geht fließend in den weiteren Text über.
Auch liest man entweder nicht enden wollende Sätze, da viele Nebensätze eingebaut sind oder kurze Zwei- bis Mehrwortäußerungen, die telegrammstilartig wirken. Es erschwert einen die Abfolgen zu verstehen und sich in die Situation, in der sich der jeweilige Charakter befindet, hineinzuversetzen. Teilweise sind die Sätze so verflochten, dass man zum Beispiel ein Prädikat vermisst oder es tatsächlich fehlt.
Mir ist es daher erst ganz zum Schluss gelungen, mich in den Stil ein wenig hineinzufinden und mich auf diese Art zu schreiben einzulassen. Immer wieder legte ich das Buch zur Seite und fand keinen Gefallen daran, was einerseits an der Struktur des Geschriebenen lag, andererseits an der Story selbst.
Anfänglich begeisterte mich das Thema. Ein junges Paar, was durch einen unglücklichen Zufall, einem Terroranschlag, die Chance bekommt, sich ein Leben in einer Weltmetropole aufzubauen und von den Gedanken verfolgt wird, dass nach diesem furchtbaren Ereignis die Welt nicht mehr die gleiche sein wird oder kann. Auch wenn ich damals noch sehr jung war, kann ich mich noch ziemlich gut daran erinnern, wie ich die Türme im Fernseher einstürzen sah. Mir selbst war bestimmt nicht bewusst, welch ein Unglück geschah und vor allem nicht welches Ausmaß dieses hatte. Ich weiß nur, dass meine Mutter beunruhigt war und direkt meinen Vater auf der Arbeit anrief. Dieses ungute Gefühl hat sich auf mich übertragen, weswegen ich ebenso betrübt wie meine Mutter auf diese Erinnerung zurückblicke.
Eine weitere Szene, in der Isabelle in London gelandet ist und ihr Flugzeug einen Unfall hat, erinnert mich an Situationen von heute. Passagiere geraten in Panik und denken, dass sie in einen Terroranschlag geraten, obwohl es „nur“ ein harmloser Unfall ist. Ich denke, dass diese Angst durch die Geschehnisse der vergangenen Jahre und Monate sich weiterhin (oder wieder?) ausbreitet, dass viele dieses Gefühl von Besorgnis mit sich herumschleppen und Hacker ein erneut sehr aktuelles Thema aufgreift.
So wie jetzt ging es mir beim Lesen des Buches ebenfalls: meine Gedanken schweiften ab und als ich weiterlas ging es schon gar nicht mehr um dieses Thema.

Man lernt in dem Buch viele Charaktere kennen, aus dessen Sicht man ein Stück ihres Lebens mitbekommt. Zum Beispiel Andras, der ein Freund und Kollege von Isabelle ist und unglücklich in sie verliebt ist. Wie gelähmt sieht er dabei zu, als Isabelle und Jakob nach London ziehen und versucht nichts an der Tatsache zu verändern, obwohl die zwei zu wissen scheinen, dass es für beide mehr als nur Freundschaft ist.
Auch lernt man Jim kennen, einen Drogendealer aus London, der in der gleichen Straße wohnt wie Jakob und seine Frau. Er sucht seine Freundin Mae, die er schmerzlich vermisst und an dessen Verschwinden er die Schuld trägt, da er ihr gegenüber gewalttätig geworden ist.
In London merkt man erst richtig, wie passiv Isabelle und Jakob bestimmt werden in ihrem Handeln und wie fremd sie sich einander, aber auch sich selbst, werden.

„Die Tür zu ihrem Wohn- und Arbeitszimmer stand offen, ihr Leben, von außen betrachtet, wirkte geordnet und einladend, dem Anschein nach, wie ein Geburtstagspäckchen, das auszupacken man doch keine Lust verspürt hatte.“

Nach außen hin geben sie sich anders, glücklicher und zufriedener, als sie es innerlich sind. Vermeintliche Geheimnisse (… Isabelle hört oft, wie die Nachbarn im Haus nebenan sich streiten und es zu Ausbrüchen kommt, Jakob findet heraus, dass sein neuer Chef schwul ist …) werden für sich behalten, wodurch sich die beiden weiter entfernen. Isabelle lernt Jim kennen und ist von ihm angetan, genauso wie Jakob von seinem Chef Bentham. Natürlich wissen die beiden nichts vom Begehren des anderen, sondern schweigen.
Im Nachbarhaus wohnt Sara mit ihren Eltern und ihrem größeren Bruder Dave, der allerdings vor einiger Zeit von Zuhause weggelaufen ist und ab und zu bei Jim Zuflucht sucht. Aus der Sicht der kleinen Sara erfährt man, dass ihr Vater gewalttätig ist. Diese Kapitel sind für mich die emotionalsten, da man hier endlich mit in die Geschichte hineinfühlen kann. In den letzten drei Kapiteln hat mich das Mitgefühl besonders gepackt und innerlich brannte ich, ich wollte wie so oft, selbst die Fäden in die Hand nehmen und das Geschehen verändern, das Handeln mit beeinflussen (den Charakteren quasi „in den Hintern treten“), damit endlich etwas Gutes oder zumindest das Richtige geschieht.

Fazit: Ich fand nur sehr schwer in die Geschichte hinein und fühlte mich immer wieder losgelöst, dadurch, dass man keinen der Protagonisten näher kennenlernt. Auch wurde ich ständig hinausgerissen infolge von spät erkennbaren Szenenwechseln und der fehlenden Vorstellung über das Ereignis. Zudem konnte ich teilweise nicht immer entscheiden, ob etwas nun wirklich passiert ist oder es vielleicht nur eine Vorstellung oder ein Traum einer Person war. Spannend war allerdings zu sehen, wie das Thema über die Angst von einem Kriegsausbruch, durch die Probleme und Vorkommnisse im eigene Leben überschattet wurde und immer weiter in den Hintergrund rückte.
Leider wurde meine Hoffnung nicht erfüllt, dass mich das Buch noch so sehr packt, sodass ich meine negative Einstellung ändere.

Herzen💖: 2,5/5

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